Kapitale Geweihe schmücken die Wände des gut gefüllten Germania-Saals im Geisenheimer Rheingau-Atrium. Jägerinnen und Jäger, aber auch interessierte Bürger sind der Einladung der Rot- und Muffelwildhegegemeinschaft Hinterlandswald zur „Hegeschau 2024“ gefolgt. Viele erhoffen sich heute sachdienliche Informationen zur emotional geprägten Diskussion um die zunehmende Population des Wolfes. „Der Einfluss des Wolfes auf das Rotwild“ lautet deshalb an diesem Nachmittag ein mit Spannung erwarteter Gastvortrag von Ulrich Maushake.
Zunächst aber gibt der Sachkundige der Hegegemeinschaft Winfried Wagner einen Überblick über die Entwicklung des Wildbestands im Rheingau und Untertaunus seit 2020. Während das Muffelwild in den Wäldern der Region beinahe ausgerottet scheint, wandert das Rotwild allmählich nordostwärts. Eine mögliche Ursache dafür sieht Wagner in der raschen Verbreitung des Wolfes. In der Tat haben die heimischen Jäger bereits seit 2021 signifikante Folgen der Wolfsrisse zur Kenntnis nehmen müssen. Zwei im Saal ausgestellte Rotwild-Trophäen aus dem Oestrich-Winkeler Wald bieten entsprechende Zeugnisse.
Geweihe heben eine große Bedeutung für die Dokumentation der Qualität der Tiere, wie Wagner ausführt. „Bei den Geweihen der Hirsche handelt es sich um ein jährliches Abfall-Produkt. Je größer und stärker das Geweih, desto gesünder und älter das Tier. Es dient uns als Messlatte für die Wilddichte und artgerechte Bejagung in Abhängigkeit zum Lebensraum.“ Die Anwesenden erfahren Konkretes zu den Abschüssen der zurückliegenden 4 Jahre und den Erkenntnissen daraus. Wagner schließt seinen Bericht mit dem Appell, Hirsche auch künftig alt werden zu lassen und das Wild weiterhin mit Respekt zu bejagen.
Dann leitet Ulrich Grimm, Vorsitzender der gastgebenden Hegegemeinschaft über zum lange erwarteten Gastvortrag. Im Rheingau gelte ein Wolfsrudel als bestätigt. Seit über 150 Jahren, so Grimm, lebe das heimische Wild ohne den Einfluss von Großraubtieren in den Wäldern und Feldlandschaften. Ulrich Maushake, Forstdirektor a.D. beim Bundesforstamt des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr, verspricht, dazu in seinem Vortrag den Anwesenden Denkansätze und Erfahrungen zur Lenkung der Hirsche und der grauen Jäger mit auf den Weg zu geben. „Wir müssen die Natur in ihrer Gänze lieben. Nur so können wir eine gesunde Balance der unterschiedlichen Ansprüche finden.“ Maushake verdeutlicht das Konfliktpotenzial zwischen Umwelt, Kultur und Tourismus: „Da musste nicht erst der Wolf kommen, um unser Wild in Aufregung zu versetzen“, kontert er die vorhin geäußerte Feststellung der heimischen Jagdschaft. Es folgen Lichtbilder eines auf dem Truppenübungsplatz angesiedelten Wolfspärchens. Schnell begreift der Zuhörer, wie Wild und Wolf einander adaptieren. Mittlerweile nämlich bildet das Grafenwöhrer Rotwild entspannte Rudel, wenn der Wolf naht. Keine Panik, keine Flucht. Eine solche Entwicklung setzte aber eine bewusste Entwicklung der unterschiedlichen Lebensbereiche wie Äsungs-, Ruhezonen und bewaldete Rückzugsgebiete voraus. So plädiert Maushake auch für bei Joggern oder Pilzsammlern etwa unliebsame Maßnahmen wie Wegegebote in der Natur. Gleichzeitig appelliert er an die Jagdverantwortlichen, beim Abschuss weder dem Lustgewinn noch dem sportlichen Ehrgeiz zu erliegen, sondern dem Wild mit Empathie und Fürsorge zu begegnen. Hier schließt sich der Kreis. Denn auch das aktuelle Konzept der Rheingauer Jäger setzt sich für Artenvielfalt ein und verspricht den verantwortungsvollen Umgang mit den ihnen anvertrauten Tieren und deren Lebensräume. „Wald MIT Wild“ lautet die Losung.
Autor: Karl-Heinz Behrens, Geisenheim